Debussy schrieb seine Fragment gebliebene Oper „Der Fall des Hauses Usher“ nach der schaurigen Erzählung Edgar Allan Poes über den letzten Spross einer alten Familie, mit dem sich der Komponist bis zur Selbstzerstörung identifizierte. Unaufhaltsam zieht uns die Geschichte in einen tiefen, irren Sumpf hinein, den ausweglosen Zustand des Roderick Usher: Ein Schneckenhaus des Horrors. Ein Geschwisterpaar hämmernd gegen die Wände eines Ichs. Hinausgespült aus der Ursuppe, hinein in eine Achterbahnfahrt durch die fauligen Abgründe der menschlichen Existenz braucht man, falls man einem Ritter begegnet, nur das Codewort zu sagen: „Ich dürste nach Leben, dürste nach Licht“.

Der Fall des Hauses Usher
Opernfragment von Claude Debussy nach Edgar Allan Poes short story "The fall of the house of usher"

Regie: Georg Schütky
Bühne, Kostüme: Friederike Meese
Musikalische Leitung/Arrangement: Clara Murnig
Dramaturgie: Vincent Stefan
Darsteller: Dana Hoffmann, Jean Denes, Stathis Grafanakis, Martin Netter
Musiker: Julia Glass, Clara Murnig, Anna Huhn

Premiere 2009 im HAU 2 Berlin
im Rahmen von K.O. 10 - Kooperation zwischen der UdK Berlin, HfM "Hanns Eisler" Berlin, HAU, und der Komischen Oper Berlin




Presse:
Neue Musik Zeitung 13.10.2009 | Eine gewaltige Steigerung an Innovation erlebt der überlange Kurzopern-Abend nach der Pause, mit Debussys Opernfragment „Der Fall des Hauses Usher“ nach Edgar Allan Poe. Diese Oper ist seit ihrer postumen Uraufführung an der Deutschen Oper Berlin im Jahre 1979 vielfältig interpretiert worden, aber wohl noch nie gleichermaßen radikal im Zugriff und überzeugend in der Umsetzung, wie an diesem Abend junger Künstler, noch vor dem Abschluss ihrer Ausbildung.

Da es vom Komponisten fast keine Instrumentationsangaben gibt, liegt es nahe, hier einen besonders freien Weg instrumentaler Ausdeutung zu beschreiten. Dominik Giesringls Arrangement beginnt mit aleatorischen Impressionen der präparierten und verstärkten Tasteninstrumente, sowie des Kontrabasses. Und einmal, bei einem großen Emotionsaufschwung ohne Gesang, löst eine Orchestereinspielung von Band das Live-Trio ab. In Friederike Meeses Bühnenraum führt eine kreisförmige Straße um einen Altar von Rittern aus Wegwerfprodukten.

Der in Frank Castorfs Inszenierungen häufig eingesetzte Live-Kameramann ist hier, in Georg Schütkys Operregie, ein Sänger: Martin Netter, gleichermaßen überzeugend als nuancenreicher Charaktertenor, intensiver Darsteller und in der Bildauswahl an der Kamera. Er diagnostiziert als Arzt, dokumentiert als Psychotherapeut und entpuppt sich doch als der gefährliche Drahtzieher dieser blutigen Geschichte. Roderick Usher (der Bariton Jean Denes) lebt in einer postpubertären Spielzeugwelt zwischen Rittern und Superman, aber auch seine inzestuös geliebte Schwester Madeline ist geistig umnachtet, gibt sich als selbstzerstörerischer Pfau und legt dann eine Ritterrüstung an, um der Phantasiewelt des Bruders und diesem selbst anzugehören. Und der ihn besuchende Freund (Stratis Grafanakis) schlüpft auf Betreiben des Arztes in ein Bären-Kostüm. Nach dem Exitus der Schwester fordert der Arzt einen zuvor ausgewählten Teil des Publikums zum Mitspielen auf. Die Leiche der Schwester wird aufgebahrt, und die erweiterten Akteure schlüpfen unter das Straßentuch, dessen Rückseite sich als Riesenschlange entpuppt. Diese Schlange verlässt das Theater.

Mit dem Abbruch von Debussys Skizze teilt sich das Spiel in zwei parallele Aktionen. Auch das Unwetter – gemäß Edgar Allan Poes Vorlage – spielt am Premierenabend mit: im Regen, vor dem HAU 2, agieren Frederick, Arzt und Fremder im Kreise der Publikumsmitspieler, was optisch auf zwei Kuben projiziert wird. Im Bühnenraum aber erwacht Madeline Usher zu neuem Leben, legt die Ritterrüstung ab und wandelt sich zur kriegerischen Squaw: nur vom Flügel begleitet, gestaltet die Sopranistin Dana Hoffmann nun mit berückendem Wohlklang Lieder von Debussy. Erst zum Applaus vereinigen sich beide Spielstränge.